Sieben Schwestern

                          Ich gehe die Straße runter. Da hat Klaus gewohnt. Seine Eltern hatten die Kneipe. Sie wohnten drüber. Ich mochte ihn.
                          Wir saßen in der Schule nebeneinander. Die Kneipe im Erdgeschoss eines dieser Backsteinhäuser, die unserem Viertel die
                          Farbe verliehen. Ich trete ein, setze mich auf einen Stuhl und warte auf  ihn. Der leere Blick des Tresenwirtes wird
                          vom Klang des Spielautomaten zu mir getragen. Er hebt fragend den Kopf.. Links eine gebeugte Gestalt.
                          Ich rufe: 'Des Geistes Kraft erschuf vor langer Zeit den Freund den ich so nennen will,  Klaus ist sein Name. Ist er des
                          Guten Vater?'  Der Wirt: 'Der den du suchst weilt oben. Die hintern Stufen nimm und warte nicht auf ein ‚Herein’, das schenkt
                          er einer andren Welt.’Er nimmt ein neues Glas und trocknet es. Der Gebeugte bewegt sich.
                          Ich nicke dankend und gehe nach hinten. Feuchter Putz und knarrende Dielen, von der Decke tropft es, hinauf durch das
                          Treppenhaus in den ersten Stock. Eine Türe steht offen.
                          Er sitzt auf der Kante seines Bettes und raucht. Sein Blick ist glasig, müde liegt sein Kopf nach vorn gebeugt. Er nickt.
                          ‚Sie holen mich nachts.
                          Ich merke es morgens, wenn ich völlig gerädert erwache. Manchmal bleiben diese kleinen Schürfwunden zurück, unscheinbar
                          am Handgelenk oder am Unterschenkel. Zeichen einer Schlacht. Die Galaxien, in die wir geschickt werden, unterscheiden sich
                          mit unter extrem. Es gibt heiße Galaxien, deren Sonnensysteme mit irrsinniger Geschwindigkeit rotieren, dort gibt es meist
                          Probleme.’
                           Ich setze mich auf den einzigen Stuhl.
                          ‚Was tut ihr?’
                          ‚Wir suchen die sieben Schwestern.’
                          ‚Wer sind die sieben Schwestern?’
                          ‚Sie sind verteilt über sieben Galaxien.’
                          ‚Was wollt ihr von Ihnen.’
                          ‚Wir müssen sie töten.’
                          ‚Warum?’
                          Er schnaupt spöttisch, zieht an seiner Kippe, starrt auf den Boden und murmelt:
                          ‚Des Wortes alter Klang erschüttert die Jahrhunderte, doch greift es noch immer nach der Schwestern Schatten, die es nicht
                          vermag zu halten, die die Sonne nicht vermag zu treffen, die dunkel meines Bruders Antlitz mir verfremden, die jede Kerbe,
                          die das Schicksal schlug begierig füllen und verharren bis des Glückes Strahlen sich im Glanze wiegen.’
                          Er hebt den Kopf und blickt mich an.
                          ’Glaubst du, dass sie je von uns lassen? Lern und leb mit ihnen. Das dacht ich lange Zeit, konnt keinen Lehrer finden, will meine
                          Zeit, die langsam sich verdünnt und all die Bilder wirr einander bindet nicht mehr sinnlos walten lassen. Zeit hat eine Kraft allein,
                          Geduld, die keine Spitzen kennt, nicht Leidenschaft und Not. Spannt ihren Bogen vom ersten Schrei bis zu des Winters Tod.
                          Des Wartens bin ich Leid. So kämpfen wir und stellen uns.’
                          Ich setze mich neben ihn auf das Bett.
                          ’In mir liegt der Anbeginn gebettet, die Melodie der Ahnen, sie kann ich auf das Schlachtfeld führen, an eurer Seit’ sage ich zu
                          ihm.
                          Er lächelt, tritt seine Zigarette auf den alten Dielen aus und streicht mit seiner Hand über meine Augen.
                          ’So lass die Schatten hinter dir’
                          Ein Grollen bindet nun all die Kräfte, die die Erde zum Zusammenhalt gebraucht, an unsre Glieder. Die Welt beginnt zu wanken,
                          auf den Kontinenten lösen sich Gebirge, schwinden Wüsten, Wolken heben sich in lautem tiefem Zischen ab vom Grund nach
                          oben fauchend, Materie, die einst die Bilder in uns eingebrannt, von ihrer Form sich lösend frei nach neuen Mustern strebend
                          in den Himmel schießt. Wir schmelzen. Unsere Beine fangen an zu tropfen.
                          Von unten an verflüssigen sich unsere Körper, wir tropfen auf den Boden, rinnen durch die Ritzen der Decke, sammeln uns in
                          modrigem Putz, suchen uns den Weg entlang schräger Balken in den Wirtsraum, klammern uns an einen alten Haken über dem
                          Tresen und tropfen in das Glas des Gebeugten.
                          Ich sehe ihn auf uns niederblicken. Er lächelt.
                          Dann nimmt er das Glas, trinkt uns aus, legt Münzen auf den Tresen und geht an seinem Stock gebeugt hinaus. 

 

                          

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